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Raid Golfe du Morbihan – Die letzten Kilometer

An die Pause bei km70 erinnere ich mich noch sehr genau, auch daran wie erschöpft ich zu dem Zeitpunkt schon war. In der Entfernung konnten wir das Jubeln hören. Freunde und Verwandte haben ihre Läufer begrüßt, die wie wir bei Regen in die Halle einliefen. Bevor wir rein kamen und über die piepsende RFID Matte gelaufen sind hieß es aber erstmal wieder die Wasservorräte auffüllen.
Ein Piepsen empfing uns und wir konnten ins Trockene flüchten. Die Sporthalle war unterteilt Es gab ein paar Tapeziertische auf denen man etwas zu Essen bekommen konnte, einen abgesperrten Bereich in dem sich einige haben massieren lassen und die Tribüne auf der sich einige mit ihren Familien zum Ausruhen hingesetzt hatten. Wir haben erstmal das Essen angesteuert, wo ich wieder Cracker, Camembert und Schinken gegessen und mit Cola runtergespült habe. Arnaud war damit beschäftigt sich mit einer der Freiwilligen darüber zu unterhalten warum es denn keine Suppe gäbe. Ich habe mich mit meiner Beute auf eine der Bierbänke gesetzt und erstmal was gegessen. Zwischendurch wurde ich von einer Dame auf meine Schuhe angesprochen, leider konnte ich nicht verstehen was sie sagte und auf mein „I’m sorry but I don’t speak french“ hat sie mich erstmal verständnislos angeschaut. Anraud erklärte ihr dann dass ich Minimalist sei und leider auch kein französisch sprechen würde. Zwei Herren neben mir wurden dadurch auf mich aufmerksam und fingen an mich mit französischem Englisch über meine Schuhe und die daraus resultierenden Schmerzen auszufragen. Mitlerweile war ich an einem Punkt angekommen an dem ich die Schmerzen auch nicht mehr verleugnen konnte. Ich habe mir noch ein oder zwei mal einen Becher Cola besorgt und mich dann einstweilig auf eine Bank entspannt.
Arnaud ließ sich sehr viel Zeit und hat sich mit den Leuten unterhalten. Hin und wieder dachte ich er sei schon weitergelaufen und dann fand ich ihn doch wieder. Ich wollte eigentlich wieder los aber ich wollte die restlichen km nicht alleine laufen. Zwischendurch schrieb ich Juli dass es eher 12+ Stunden werden würden, denn wir waren bereits 9 Stunden unterwegs. Nach ungefähr 15 bis 20 Minuten haben wir uns hinten raus wieder auf den Weg gemacht.

Mitlerweile hatte es aufgehört zu regnen und dadurch war die Luft auch nicht mehr so kalt. Die Pause war eindeutig zu lang. Gleich nach den ersten Metern fingen wir beide an zu zittern. Dadurch dass die Beine ein wenig steif geworden waren war laufen erstmal nicht möglich. Wir mussten einige Meter gehen bis die Bewegungsabläufe wieder flüssig waren. Nachdem wir es über den Sportplatz hinweg geschafft hatten „lief“ es sich wieder einigermaßen gut und noch ein paar Minuten später war auch die Kälte wieder aus den Gliedern verschwunden. Arnaud erzählte mir von einer Dame, die spät in einem Ultra nur wenige hundert Meter vor einer Verpflegungsstation von ihrem Mann was zu trinken angenommen hatte und dafür eine einstündige Penalty aufgebrummt bekam. Wer so spät in einem Rennen eine Stunde warten muss kann auch gleich kapitulieren, denn der Körper kann das nicht so leicht wegstecken. So spat in einem derartigen Lauf kann Dich alles aus der Bahn stoßen.

Bald verließen wir die Feldwege und kamen wieder ein Stück Asphalt entlang. Hier gab es einen kleinen Ort hinter dem wir nach links wieder in einige Feldwege einbogen. Immer mal wieder habe ich mich während des gesamten Laufes gebückt um Müll aufzuheben und korrekt zu entsorgen. Hier sah ich zwischendurch eine Tüte mit einem Milchbrötchen drin. Nach etwa 10 Minuten meinte Arnaud dass ich doch das Brötchen rausfallen lassen könnte „Die Tiere werden sich schon drum kümmern„. Eigentlich eine total einfache Idee, mir kam sie aber nicht. Insgesamt war mein Hirn nicht mehr gut durchblutet. Nach kurzem näherten wir uns wieder der Küste und schon kamen auch wieder die Stufen, die runter zum Strand und wieder rauf führten. Insgesamt waren die Küstenabschnitte die schönsten des ganzen Laufes. Zwischendurch trafen wir auf andere Läufer. Einer von ihnen kramte an seinem Rucksack auf dem Rücken rum. Ich half ihm seine Jacke zu verstauen, aber auch er sprach kaum Englisch.
Ein kurzer Abschnitt führte durch hohes Gras und an einer kleinen Siedlung vorbei. Zwischen den hohen Bäumen wurde mir klar dass ich meine Stirnlampe aufsetzen musste, es wurde langsam dunkel und ich wollte auf keinen Fall auf einen großen Stein treten. Meine Füße fühlten sich allmählich roh an. Irgendwann gegen Sonnenuntergang kamen wir an einigen verlassenen Häusern vorbei. Arnaud wies mich darauf hin aufzupassen „Die Franzosen zerschlagen gerne Flaschen„. Ich wollte jetzt auch nicht unbedingt in große Scherben treten. Die Ecke sah schon gefährlich aus. Sehr plötzlich wurde es dunkel und aus allen Läufern wurden Glühwürmchen. Jeder hatte seine Stirnlampe an und Laufklamotten besitzen eine Menge Reflektoren. Der eine oder andere hätte sogar mit Tron mithalten können.
Immer wenn wir an eine Siedlung kamen gab es auch mal Menschen, die gejubelt haben. An einem Parkplatz lag ein Läufer auf dem Boden. Arnaud hielt an um ihn zu fragen ob alles in Ordnung wäre und er antwortete wohl dass er bereits seine Frau angerufen habe, damit sie ihn abholen kann. So kurz vor dem Ziel muss das wirklich bitter sein.
Von hier aus ging es im dunkeln erstmal wieder in Richtung Ortschaft. Bei einem Ortseingangsschild warteten einige Schaulustige und jubelten, als wir vorbei kamen. Auf mein Erstaunen meinte Arnaud dass es wahrscheinlich die Familie eines Läufers sei. Eine ganze Weile ging es an einer Straße entlang, was meine Füße erstmal ganz erholsam fanden. Einige km später bogen wir dann wieder auf einen Feldweg ein und liefen in Richtung Küste zurück. Auch hier lag ein Läufer am Rand. Als Arnaud ihn ansprach meinte er er wolle sich nur kurz ausruhen. Wir dachten uns beide dass er eher nicht mehr aufstehen würde. Gegen Mitternacht kramte ich mein Handy aus dem Rucksack um Juli zu schreiben dass noch ca. 4 1/2 km vor mir liegen würden. Immer mal wieder gab es kleine Fahnen oder Stücke von Absperrbändern, die uns den Weg kennzeichnen sollten, doch je dunkler es wurde desto größer kamen uns die Abstände vor. Auch wenn es eigentlich keine Abzweigungen gab fragten wir uns ob wir noch richtig waren.
Zwischendurch lief ein Franzose an mir vorbei, der meine Deutschlandlandfahne gesehen hatte. Im Vorbeilaufen rief er mir zu „Deutschland, Deutschland über alles„. Naja sagen wir es sind 800 Läufer dabei gewesen, ein Deutschlandhasser macht damit keinen besonders hohen Prozentsatz aus. Schade fand ich diese Begegnung trotzdem.
In der Ferne konnten wir eine Ortschaft im dunkeln glänzen sehen und da es nicht mehr weit war fingen wir an uns zu fragen ob dies denn schon Vannes sein könnte. Doch die Ortschaft war zu weit weg. Irgendwann zeigte Arnauds Uhr bereits 85km an und vom Ziel war immernoch nichts in Sicht. Der Golf war hier sehr schmal und in der Entfernung konnte man eine kleine Hafenanlage sehen. Irgendwann fiel mir auf dass die kleinen Läufer-Glühwürmchen in der Ferne einfach verschwanden, dort gab es also einen Weg, den wir so nicht sehen konnten.
Nach einer Linkskurve konnten auch wir den Weg sehen. Fast die gesamte Küstenstrecke, die wir seit dem Sonnenuntergang gelaufen waren war nicht beleuchtet und es gab auch keinen Mond der uns viel Sicht gegeben hätte. Am Ende eines schmalen Weges stand ein Sicherheitsfahrzeug mit gelben Signalleuchten, an dem ein Polizist den Verkehr steuerte. Von hier aus ging es nach links an der Straße entlang. Vor einer kleinen Brücke bogen wir nach rechts und kamen auf einen Boot- und Jachtabstellplatz. Zwischendurch griffen wir einen anderen Läufer auf. Hier wäre ich versehentlich beinahe nach rechts abgebogen, doch Arnaud hatte eine Wegfahne gesehen und rief mich auf den richtigen Weg zurück.
In etwa einem km Entfernung konnten wir den Hafen sehen. Arnauds Uhr zeigte bereits 90km an. Ab hier hielt ich Ausschau nach Juli. Jede Blondine ließ mein Herz schneller schlagen. Immer mal wieder gab es Freunde und Familienangehörige, die auf ihre Läufer warteten. Ein Jahr lang hatte ich trainiert und das Ziel kam in Sicht. Juli wartete rechts am Rand und kam auf mich zu als sie mich erkannte. Als erstes habe ich Arnaud und Juli einander vorgestellt. Die letzten 2-3 hunder Meter sind wir „gelaufen„. Richtig schnell waren wir nicht, aber ich wollte nicht gehend durch das Ziel. Das Gefühl über diese letzte RFID Matte zu laufen war Wahnsinn. Ich weiß nicht mehr wieviel Schnerz, Erleichterung, Freude und Erschöpfung ich gefühlt habe.

13 Stunden, 6 Minuten und 27 Sekunden!
Geplant hatte ich irgendwas um 10 Stunden, aber kein Plan überlebt den ersten Feindkontakt.

Nach dem Zieldurchlauf wurde mir mein blaues Armband abgeschnitten und ich bekam als Ersatz ein blaues Laufshirt, mit der Aufschrift „Finisher – Raid Golfe du Morbihan 87km„.
Mein erster Halbmarathon (Stadtlauf 2009), mein erster Marathon (München 2009) und nun auch mein erster Ultramarathon (Raid Golfe du Morbihan 2015) befinden sich in meinem persönlichen Erfahrungsschatz. Mit Julis Hilfe schleppte ich mich grinsend wie ein verrückter Hutmacher zum Versorgungszelt, wo ich alls Fragen wild nickend beantwortete: „Pasta?“ *wildesNicken*, „Fromage?“ *wildesNicken*, „Ham?“ *wildesNicken*
Mit meiner Beute setzte ich mich irgendwo hin. Kaum hatte ich mich gesetzt bekam ich wieder einen krampf in meinem Bein. Ich habe schnell eine meiner Salzkapseln genommen und mit Cola runter gespült. Somit hatte ich für den gesamten Lauf ca 8 Salzkapseln genommen. Die Nudeln mit Olivenöl waren das beste was ich in meinem Leben gegessen habe und der Camembert hat mir fast den Rest gegeben. Was ich in dem Moment hatte war ein wahnsinnig geiles Runners High. Hätte ich noch breiter gegrinst hätte ich vielleicht versehentlich meine Ohren verschluckt.
Um mich herum räumten Damen und Herren vom Militär das dreckige Geschirr weg und halfen den Läufern. Ich war jedem von ihnen und den unzähligen weiteren Helfern, die ich unterwegs getroffen hatte, unglaublich dankbar dafür das sie mir ermöglicht hatten diese Erfahrung zu machen.

Als ich ein Jahr zuvor aus einer Laune heraus geplant habe einen Ultramarathon zu laufen hatte ich die Hoffnung dass es bei diesem einen bleiben würde. Ich denke mal ich habe mich geirrt.
Arnaud und ich hatten bis hier hin 10 Stunden miteinander vebracht und einiges an persönlichen Geschichten miteinander getauscht. In einem Land dessen Sprache ich nicht spreche hatte ich einen neuen Freund gefunden. Ich hoffe das hieraus noch mehr erwächst und dass wir uns nochmal bei einem anderen Lauf helfen können durchs Ziel zu kommen.

Ohne ihn hätte ich den Lauf wahrscheinlich nicht zuende gebracht, da ich mich übernommen hätte. Auch wenn er nicht verstand wie ernst ich es meinte musste ich mich bei ihm dafür bedanken.

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