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Maxi Race – Ultra Race in Annecy

Nach nicht einmal 4h Schlaf bin ich wach. In meinen Laufklamotten und mit dem Rucksack auf dem Rücken bin ich um 23 Uhr unterwegs zum Start. Einzelne Läufer sammeln sich zu einem Fluss an Menschen, die alleine oder in Gruppen zum Lauf-Dorf strömen. Hier sind teilweise offenbar noch Freunde und Familien der Läufer mit dabei.
Durch den verlassenen Ort geht es zu einer Traube an Menschen. Erst kurz vor dem Lauf dürfen wir uns in unserer Startblöcke einsortieren. Zwei Stimmen vor mir sprechen plötzlich in einer mir bekannten Sprache, Deutsch. Es ist überraschend angenehm sich mit Landsleuten unterhalten zu können. Das bisschen Erfahrung von meinem letzten Lauf gebe ich gerne weiter. Als die Startblöcke aufgemacht werden verabschiedet sich die eine von beiden weiter nach vorne während Nadia, die andere, und ich zusammen bleiben. 

Kurz vorm Start steigt die Aufregung. Reihenweise werden Handys, zum Filmen, in die Luft gehalten. Nach dem Startschuss bewegt sich die Laufgruppe in gemächlichen Trab auf den Berg zu. Dieses Mal bin ich gewappnet und versucht keine Energie zu verschwenden. Zusammen gehen wir also den steilen Berg hoch und in den dichten Wald. Meine neue Stoots-Lauflampe lichtet die Dunkelheit. Die meiste Zeit unterhalten wir uns. In der Dunkelheit gibt die Umgebung nicht viel Ablenkung her und so erfahre ich einiges über Nadia. Mir kommt hier noch nicht viel bekannt vor. Die anfänglichen Treppen nehme ich dieses Mal deutlich langsamer, das letzte Mal habe ich hier unnötig viel Energie verbrannt.

Erst als wir an den Holzhütten vorbei laufen weiß ich wieder wo wir sind.
Durch die frühere Startzeit sind wir diesmal lange vor dem Sonnenuntergang hier. Nach einer sehr kurzen Verpflegungspause machen wir uns also auf den Weg bergab. Im Versorgungszelt stürze ich mich auf Käse und Schinken und haue mir die Backen voll.

Im Dunkeln geht es erst einmal eine Weile den Berg runter. Die Löcher und der Matsch sind für mich nicht nur eine theoretische Stolperfalle. Der weiche Schlamm hängt in dichten Klumpen unter meinen Sohlen. 

In der nächsten Siedlung halten wir kurz an um unsere Flaschen nachzufüllen bevor wir den nächsten Berg erwandern. Der komische Geschmack der neuen Flaschen fängt an meinen Magen zu irritieren.

Die Sonne beginnt vorsichtig den Tag als wir den felsigen Pfad hinunter laufen, auf dem ich mir das letzte Mal beinahe die Beine gebrochen habe. Ein aufgeregter Typ rennt laut rufend an uns vorbei, ein Trailläufer ihm direkt auf den Fersen.
„Das war gerade einer der Eliteläufer“ erklärt mir Nadia. 
Die schnellsten der 89-km-Läufer haben sich vorgenommen uns an einer der schwierigsten Stellen zu überholen.

Ein weiteres kleines Dorf bietet die Gelegenheit die leeren Flaschen aufzufüllen. Da der Gummigeschmack meinen Magen stört spüle ich meine neuen Flaschen so weit wie möglich durch. Ich erkenne den Ort hier sofort und kann glücklich feststellen dass meine Beine dieses Mal deutlich besser mitspielen als beim letzten Mal. Ein französischer Läufer reißt den Wasserhahn so weit auf dass er damit meine Füße mit duscht. Diese Rücksichtslosigkeit kann mich in einigen Stunden noch in Schwierigkeiten bringen.

Vorsichtig laufen wir weiter, zurück in den Wald. Jetzt bei Licht wird es auch wieder leichter. Das größte Problem war auch beim letzten Mal die erste Nacht und der erste Abstieg. Nadia sorgt mit ihrer ruhigen Art dafür dass ich ruhig bleibe und meine Reserven nicht zu schnell verbrauche.

Am Ende des ersten Gebirges trennen sich die Wege der Läufer und die “schnellen” 89-km-Läufer verschwinden nach links, während wir den langen Weg nehmen. Ab hier kenne ich mich gar nicht mehr aus. Hinter uns verschwindet der letzte 89er am Horizont. Obwohl wir nur auf einer leichten Steigerung unterwegs sind ist eigentlich keiner um uns herum wirklich am laufen. Energiesparen ist gerade die höchste Devise. Rechts und links türmen sich hohe Felsmassive auf.
„Ob wir wohl dort rauf müssen?“ Fragt Nadia, mit ausgestreckt Hand.
„Ach Quatsch, da hinten gibt es eine Brücke, die geht es bestimmt weiter.“

Zwischendurch dränge ich zum leichten Trab, um ein wenig weiter zu kommen. Mein Magen kann sich für die Bewegung gerade immer weniger begeistern. Immerhin nehmen die anderen vor und hinter uns mit uns zusammen einen leichten Trab auf, der uns ein paar Minuten gewinnen lässt. Der kurvige Pfad treibt uns immer weiter in die Höhe. Die Temperatur fällt langsam. Wir haben längst unsere Laufjacken aus dem Rucksack befreit und angezogen doch die Kälte kriecht in die Knochen.
Auf einem Hügel erwartet uns plötzlich eine runde Hütte. Es gibt keine Fenster und aus einem kleinen Schornstein steigt weißer Rauch auf. Ein älterer Herr kümmert sich um einige Läufer, die Wärme suchen. Gibt es etwas schöneres als festzustellen dass man mit seinen Sorgen nicht alleine ist?
Nadia drängt uns weiter zu laufen, der Rauch in der schlecht belüfteten Hütte macht ihr zu schaffen. Zusammen stolpern wieder an die kalte aber klare Luft. Ein paar Tiefe Atemzüge und ein Müsliriegel muss in den Körper bevor wir weiter können.

Nach Stunden in denen meine Uhr vor sich hin vibriert hat schaue ich drauf. Anstatt das sie mich auf „10cm“ Wegabweichung hinweist muss ich feststellen dass sie wie ein braves Navi alle Abbiegungen anzeigt und mir jedes Mal sagt wo ich hinlaufen muss. Statt 24h zu halten hat sie dadurch bereits 70% Ladung verloren. Innerlich fasse ich mir an den Kopf.

Eine Dame aus UK gesellt sich zu uns. Die Berge machen ihr zu schaffen, England habe wenig hohe Berge. 
Der Weg auf dem wir unterwegs sind schlängelt sich weiter doch die Markierungen sind unmissverständlich, wir müssen ein Eisfeld hochklettern. Der ganze Hang ist weiß. Hunderte Läufer vor uns haben tiefe Abdrücke durch Schuhe und Stöcke hinterlassen. Nach mehr als einem halben Tag auf den Beinen muss ich höchste Konzentration aufbringen um nicht abzurutschen. Langsam stapfen wir den Hang hoch. Vor mir flucht Nadia scherzhaft vor sich hin: „Ach Quatsch wir müssen schon nicht den Berg hoch, sagt er.“

Nach all der Qual dauert es aber nicht mehr lange bis wir oben auf dem Gipfel angekommen sind. Ein schmaler Weg führt die Kuppe entlang.
Von den Felsen der Gipfel geht es schnell wieder in den Wald. Der Regen hat längst aufgehört aber zum Glück ist es nicht in Hitze übergeschlagen. Dieser Wechsel hat mich das letzte Mal mitgenommen.
Eine Hütte mit Bank lädt dazu ein kurz auszuruhen.
„Entschuldigst du kurz“ kommt noch über meine Lippen, bevor ich mich ausgiebig neben die Bank übergebe. Wasser und andere mir bekannte Verpflegung befindet sich nun in einer Pfütze neben mir. Eigentlich sollte es mir nun besser gehen, aber ich habe offenbar zu lange an meinen Mageninhalt festgehalten. Langsam stapfen wir weiter. Mir ist immer noch schlecht. In den letzten Stunden habe ich wohl auch genug Wasser- und Kalorienmangel aufgebaut. Verschiedene Körperteile fangen an mir einen Vogel zu zeigen.
Übelkeit und Erschöpfung machen mir zwar zu schaffen aber meine Erfahrung aus Vesubie sollten mir die Erfahrung gegeben haben dass ich das trotzdem alles überwinden kann. Zum Trotz dessen beginnt in mir ein negativer innerer Dialog.

„Das schaffst du nicht, gib einfach auf.“
„Doch ich muss nur vorsichtig trinken und essen.“
„Ach komm lass es doch einfach.“

Die neuen Flaschen habe ich längst entsorgt. Vorsichtig trinke ich und versuche meinen Kalorienrückstand wieder abzubauen. Mein Magen zuckt jedes Mal wenn ich mehr als einen Bissen zu mir nehme. Nadia bietet mir Kartoffelbrei in Trinktüten an, mein Magen lässt mich aber doch ablehnen. Die Idee klingt aber so gut dass ich sie beim nächsten Rennen übernehmen muss.
Es kostet uns Stunden bis zur nächsten Verpflegungsstation zu kommen. Gefühlt sollten wir weiter sein, aber es ist erst der 50km Checkpoint. Wir können die Flaschen nur mit kaltem Wasser auffüllen, Nahrung gibt es keine. In Zukunft brauche ich Alternativen für einen genervten Magen.

Straßen, Bäche und matschige Wege werden ab hier nur noch eine verschwommene Erinnerung.

„Mit leerem Magen marschiert es sich schlecht“ heißt es. Die schmerzenden Beine und der verdrehte Magen stimmen gemeinsam zu, der Kopf kämpft weiter gegen den inneren Dialog.
Ein Schritt nach dem anderen kämpfen wir uns Seite an Seite den Weg entlang. Meine Uhr gibt ein letztes Mal ein Signal von sich und geht dann aus. Der Akku ist entgültig leer.

Kurz vor der nächsten Verpflegungsstation erzähle ich Nadia dass wir uns dort verabschieden müssen. Mir ist immer noch schlecht. Die Beine sind zwar platt würden aber noch mitmachen. Ich habe leider schon vor Stunden die Lust verloren und das bricht mir gerade das läuferische Genick. Hätte ich die Option nicht würde ich wahrscheinlich bis zum Ende weiter laufen.
„Oh das finde ich wirklich schade. Bist du sicher dass du es nicht mehr schaffst?“
„Mir ist einfach schlecht, ich kann nicht mehr.“
„Oh man das ist hart, es hat Spaß mit dir gemacht.“
„Ich kann gar nicht ausdrücken wie viel Spaß es mit dir gemacht hat. Ohne dich wäre ich nicht so weit gekommen!“

Am Eingang sagt sie den Organisatoren Bescheid dass ich aufhöre. Mit einer kräftigen Umarmung verabschieden wir uns.
Ich setze mich zu anderen „DNF“-Läufern in einer Ecke und warte auf den Bus.

Eine Stunde später kommt Nadia umgezogen an mir vorbei, völlig überrascht dass ich noch da bin.
Mein Magen hat sich in der Zwischenzeit wieder eingespielt, die Lust am Laufen ist aber nicht wieder zurückgekommen. So läuft sie dann weiter.

Etwas später werde ich darauf hingewiesen dass ich zum Bus gehen muss, der fährt hier nicht. Kurz genervt weise ich darauf hin dass die Information eine andere war. Ein französischer Läufer nimmt mich mit.

„Ich bin raus und das war mein letzter Versuch“ schreibe ich meiner Freundin.
„Schauen wir Mal, lass dich nicht entmutigen“ ist die Antwort.

Zurück in der Wohnung vermag mich der Schlaf, trotz absoluter Erschöpfung, nicht sofort überkommen und so schaue ich eine Runde Katzenvideos an.
Die Ergebnisse des Rennens sind bereits am nächsten Morgen veröffentlicht. Leider scheint auch Nadia die letzte Etappe nicht geschafft zu haben.