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Südtirol Skyrace 2021

Noch Monate vor Annecy fühle ich mich unsicher ob das Training in die richtige Richtung geht. Habe ich genug Höhenmeter einfließen lassen? Passt die Nahrungszufuhr? Der Lauf auf den Färöer Inseln fällt Mal wieder aus und ich habe kein Zwischenziel. 
“Findet nicht der Lauf in Bozen zu dem Zeitpunkt statt?”
Mit Marias Hilfe plane ich noch einen Lauf ein, der sich eh schon auf meiner Wunschliste befunden hat, das Skyrace in Südtirol. Die Anmeldung ist nicht ganz einfach und auch die Nachfrage nach meinem Impfzertifikat lässt mich kurz etwas grübeln, will ich wirklich meine Daten an jemanden schicken, den ich nicht kenne? Am Ende bleibt mir keine andere Möglichkeit, ich schicke meine Daten und hoffe dass alles klappt.
Ende August klingelt dann der Wecker und scheucht uns zu einer unchristlichen Zeit aus dem Bett. Jumpy schläft noch schnarchend am Fuße der Treppe und schaut uns völlig irritiert an als wir runter stapfen. ‘Was wollt Ihr denn so früh hier unten’ scheinen seine Augen zu sagen.
Die enge Laufhose und mein Merinoshirt sind die heutige Uniform. Rucksack, Schuhe, Trekking Stöcke und Verpflegung stecken in meinem Rucksack. Wechselkleidung und andere Schuhe wir Maria mir mit zum Ziel bringen. Ein paar Brote und ein bisschen was an Flüssigkeit sind das heutige Frühstück und mit einer Banane in der Hand fahren wir in Richtung Bozen. 
Unterwegs stellen wir fest dass die Wegbeschreibung nicht ganz klar sind und der angegebene Parkplatz einiges an Fußweg zum Start offen lässt. Ein Stück zurück parken wir dort wo ein Österreicher vorher seinen Platz gefunden hat und machen uns dann auf den Weg zum Start. Viel ist nicht los, obwohl der 120 km Lauf abgesagt wurde sind wohl kaum Läufer auf die 45 km Strecke gewechselt. Jeder trägt brav Maske, ich komme nicht Mal ohne Greenpass-Kontrolle an meine Laufunterlagen. Während ich versuche die Nummer an meinem Gurt anzubringen filmt der Fotograf ausgiebig meine Hände. Es herrscht trotz der frühen Stunden ein bisschen Bewegung. Zum ersten Mal seit langem fühle ich wieder die Vorfreude eines anstehenden Events in der Luft. Manche Dinge vermisst man erst so richtig wenn man sie wieder zurück bekommt.

Kurz vorm Start stehen wir alle hinter der Absperrung. Es wummert der Bass durch die Luft, alle zupfen nochmal ihre Sachen zusammen, es wird gesprungen und noch ein bisschen gedehnt. Ich habe Gänsehaut. Als der Anheizer die Zahlen von 10 bis 0 ins Mikrofon brüllt bin ich stocksteif, nur ein Grinsen kriecht über mein Gesicht.
Es knallt und wir laufen alle los. Im Vorbeilaufen gebe ich Maria noch einen Kuss und reihe mich dann ein. Noch ein paar Häuserecken und schon geht es im Zickzack den Pfad hinauf. Es kommt kein wirklicher Rhythmus auf, ich muss immer wieder große Findlinge umrunden, die in den Weg eingebaut sind. Hier wird sich noch regelmäßig überholt, es liegt viel Energie in der Luft. Erst später als wir es in den Wald geschafft haben hat sich das Feld genug zerteilt und es kommt ein richtiges Ultrarunning Gefühl auf.
Eine blonde Frau und ich überholen uns ein paar Mal gegenseitig, bis sie sich hinter mir festsetzt und meine Geschwindigkeit hält. Frauen zeigen einfach immer ein bisschen mehr Intelligenz als Männer, das gilt auch im Sport.
Die erste Stunde geht die Strecke gefühlt gerade weg von Bozen, bis wir über richtige Waldwege laufen. Endlich gibt es wieder ein paar gerade Strecken, auf denen ich richtiges Laufen spüren kann. Die Beine fliegen und der Wind verwandelt den Schweiß auf der Haut in ein bisschen Abkühlung.

Oberbozen taucht plötzlich zwischen den Bäumen auf. An einer kleinen Verpflegungsstelle fülle ich schnell meine Flaschen wieder auf, schnappe mir ein paar Loacker und laufe schnell weiter. Die Blondine hat die Gelegenheit genutzt und mich überholt.
“Willst Du etwa ohne mich abhauen,” rufe ich ihr enttäuscht hinter mir her.
“Ich war mir ziemlich sicher dass Du mich wieder einholst.” antwortet sie platt.
“Ich bin Chris,” biete ich ihr an.
“Ich bin Karin,” stellt sie sich mir vor.
Wir plaudern ein bisschen während wir durch den Ort laufen. Kurz nachdem wir über die schmalen Bahnschienen sind endet auch der Ort. Kurz bevor es zurück in den Wald geht kommen wir noch an einer Llama Farm vorbei. Familien mit Kinder genießen die Ruhe der Gegend und scheinen mit den Llamas zu spielen
Auch im Wald brennt die Sonne erbarmungslos auf uns hinunter. Die Geschwindigkeit reicht nicht mehr aus um den Schweiß magisch in Abkühlung zu verwandeln. Wir sind schon eine Weile unterwegs aber noch tritt keine Erschöpfung ein. 
Karin und ich teilen unsere Lauferfahrungen während wir unter einem Skilift durchlaufen. Die Wiese hat sich durch die letzten Regenschauer in eine morastige Falle verwandelt und man muss aufpassen dass man nicht bis zum Knöchel einsackt.
“Bei meinem letzten Rennen bin ich Bergab so gestürzt dass ich aussah als wenn ich mit einem Bär gekämpft hätte.” erzählt sie.
“Hat Dich das beeinträchtigt?” frage ich.
“Es hat wohl schlimmer ausgesehen als es sich angefühlt hat. Ich habe den Lauf sauber zu ende gebracht, ich wurde halt mehrfach darauf angesprochen.”

Der Ritten kommt in Sicht als wir an ein paar Wanderern vorbei marschieren.
“Ich freue mich aufs Bergablaufen, das ganze aufwärts nervt etwas.” sagt ein junger Typ hinter mir.
“Sei vorsichtig, das killt Deine Oberschenkel schneller als Dir lieb ist.” versuche ich ihn zu warnen.
“Ach das wird bestimmt schon. Ich mag einfach wieder richtig laufen.” wischt er mich beiseite.
Mit der Funkantenne in Sicht schicke ich Maria einen kurzen Standort. Ihre Antwort kommt rasch:
“Du bist schon am Ritten? :o”
Langsam kämpfen wir uns den Fußweg zur Bergstation hoch. Hier läuft nur die Elite. Karin und ich tauschen uns um unsere Berufe aus und stellen fest dass wir gar nicht weit voneinander entfernt liegen.
An der Verpflegungsstation füllt Karin ihre Flaschen auf und ruft mir zu:
“Du holst mich dann gleich ein, oder?”
“Logisch!” antworte ich und beeile mich. 
So logisch ist das nicht. Wie eine Bergziege sehe ich sie vor mir bergab hüpfen und muss ihre Geschwindigkeit auch noch übertreffen um irgendwie aufschließen zu können. Ohne das passende Training springe ich über den einen oder anderen Stein und schaffe es kurz nachdem wir den Bergab Teil beenden konnten wieder neben ihr her zu trotten. 
Die Wälder haben wir endgültig hinter uns gelassen. Nur noch Kuhweiden und Hütten durchbrechen die Eintönigkeit. Einmal kurz kommen noch ein paar niedrige Büsche als wir zur Sarner Scharte hoch gehen. 

“Ich finde immer schade dass es für Männer nur Schwarz oder Blau als Farbe für Klamotten gibt,” beginne ich eine Diskussion.
Karin zeigt auf meine grüne Hose und erwidert “Naja ganz stimmt das ja nicht.”
“Ok Mal mit der Ausnahme von der habe ich wenig anderes.”
“Beschwer Dich Mal nicht, für Frauen kriegt man ständig rosa Klamotten. Ich hasse Rosa.”

Meine Arme fangen an auf das mangelnde Training hinzuweisen, so dass ich die Bewegung der Treckingstöcke anpassen muss. Hier gibt es nur noch Moos und Felsen. Wir kommen den Serpentinen zur Scharte langsam entgegen. Die Spitze sieht zum Greifen nahe aus, es wird aber noch eine Weile dauern bis wir oben ankommen. Über unseren Köpfen erklingt das böse Brummen einer Drohne als wir im Zickzack über Felsen klettern. Die letzten Meter geht es steil bergauf.
Oben angekommen werde ich enttäuscht, wir rennen nicht auf der anderen Seite wieder runter. Unser Weg führt uns nach rechts. Es geht noch weiter nach oben. Ist Karin erschöpft? Ich kann es nicht einschätzen, sie schafft es immer mir ein paar Schritte voraus zu sein. Nach ein paar hundert Metern können wir unsere Stöcke wegstecken und wieder ins Laufen übergehen. Langsam laufen wir oben in einer Kurve zurück um das Tal, das wir gerade unten erklettert haben. Von oben wirkt alles immer etwas kleiner und einfacher.
Der einfache Teil endet irgendwann. Die simplen Wanderwege gehen direkt in felsige, steile Wege über und ich muss aufpassen dass ich nicht mit dem Gesicht bremse. Karin gewinnt vor mir immer mehr an Abstand während ich hinter ihr versuche nicht abgehängt zu werden. Normale Wanderer geben mir genug platz um in halsbrecherischen Tempo an ihnen vorbei zu hechten. Auch die Oberschenkel geben langsam ihren Unmut bekannt, spielen aber weiterhin mit.

In Totenkirchl ist endlich wieder eine Verpflegungsstation. Meine Flaschen habe ich dort ausgetrunken wo das Terrain es erlaubte, Snacks habe ich noch jede Menge dabei, ich habe schließlich für mehr als die doppelte Strecke gepackt.
Karin ist wenige Minuten vor mir schon weiter und endlich schaffe ich es auf der weniger gefährlichen Strecke mich wieder an ihre Fersen zu hängen. Ein kleiner Bergsee glitzert rechts von uns in der Sommersonne. 
Nach einer kurzen Steigung geht es dauerhaft bergab. Seit einer ganzen Weile sind wir alleine doch jetzt kommen immer Mal wieder Läufer an uns vorbei. Die Locals haben einfach viel mehr Gelegenheit in den Bergen zu trainieren, während Karin und ich alternative Trainings machen müssen, die nicht dieselbe Qualität haben.
“Bei manchen Bergläufen kann mir jedes lokale Hausfrau ihre Fersen zeigen,” klagt sie.
“Ja ich kenne das, bei meinem letzten Lauf haben die Oberschenkel das Stundenlange Bergab nicht besonders gut überstanden.”
Ein paar Mal verdrehe ich mir den kaputten Knöchel und muss laut aufheulen.
“Alles OK?” fragt Karin.
“Es muss,” antworte ich. Hier habe ich keine Wahl, aufgeben ist keine Option. Die nächste Verpflegungsstation ist bereits das Ziel. Es dauert nur wenige Meter und der Knöchel ist nicht mehr zu spüren. Ein Lächeln huscht über meine Lippen. Das Training des Jahres scheint sein Ziel erfüllt zu haben.

Die Burg Reinegg taucht am Hang auf. Wir können das Sarntal vor uns sehen. Anstatt die breite Straße links runter zu laufen müssen wir rechts die steile Treppe nehmen.
“Irgendwie sind die Race Direktoren immer ein wenig Sadistisch,” beklage ich mich beim Klettern.
“Ja ich habe schon ein paar schräge Klettereien erlebt.”
Immer kurz vor dem Ziel holt der Körper sich reserven von denen ich wenige Minuten vorher gesagt hätte dass es sie nicht mehr gibt. Direkt vor der Ziellinie warten Maria, Eva, Elias, Simon und Dobbi auf mich.
Das Ziel ist etwas verwirrend, wir müssen aber noch rechts abbiegen, da das Tor geradeaus das Ziel eines anderen Laufes ist. Karin und ich bekommen eine Medaille umgehängt und eine Tasche mit Geschenken in die Hand gedrückt.

Wir verabschieden uns voneinander, wäre sie nicht gewesen wäre ich noch lange nicht da. Ich hatte mit 8 bis 9 Stunden gerechnet und bin nach etwas mehr als 6 ½ schon da. Kaum zu glauben. Ich will aber meinen Zielkuss von Maria abholen und so bleibt keine Zeit zusammen auf der Bank zu hocken und die Geschenke leer zu futtern.
Elias hat Fragen, traut sich aber nicht so recht mir Löcher in den Bauch zu fragen.

Die Aufgabe war es hier zu sehen wie weit das Training mich bisher gebracht hat. Ich habe gut trainiert, der Rucksack passt perfekt. Nur die Schultern haben kapituliert und ich bekomme die nächsten zwei Tage die Arme nicht mehr hoch.

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