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Familienbesuch in Südtirol

Für ein paar Monate haben wir uns versteckt. Maria hat einem Verwandten von mir erzählt und so kommen teilweise schräge Nachrichten an, mit dem offensichtlichen Versuch herauszufinden ob an dem Gerücht etwas dran ist.
Im Oktober sind wir dann zum ersten Mal in Richtung Südtirol unterwegs. Ein kleiner Stopp an einer Tankstelle hinter Innsbruck und wir fahren durch bis nach Italien.
Ein kleiner Kasten oben an der Windschutzscheibe piept kurz und die Schranke lässt uns auf die Brennerautobahn. Österreich ist langsam und wir können plötzlich mit unglaublichen 110 km/h über den Asphalt heizen. Rechts und links von uns breiten sich weiter die Berge aus. Die Autobahn scheint einem kleinen Fluss zu folgen.
Die erste Raststätte lassen wir links, ähm ich meine natürlich rechts, liegen.
„Hier ist es irgendwie nicht schön, der Kaffee an der nächsten ist viel besser“, erklärt mir Maria. Ach ja Italien und der Kaffee.
In Plose, ja so wie das Mineralwasser, halten wir dann an einer Raststätte „mit Erfahrung“ an. Wir sind aber nicht zum Tanken hier, auch die Pinkelpause ist eher ein Nebenschauplatz, wir tanken hier Espresso.
„Due espressi per favore.“
Mit geschickten Handgriffen bereitet der Barista, nennt man die in Italien auch so (?), uns zwei kleine Tassen zu. Mit geschlossenen Augen rieche ich an der Tasse und lasse das Gebräu seinen starken Geschmack auf der Zunge ausbreiten. Er ist nicht einfach gut, er ist italienisch.
Belebt steigen wir wieder ins Auto und fahren unserem Ziel entgegen. Südtirol wird um uns herum immer dichter besiedelt.
Mit einem Piepen spuckt uns die Autobahn in Bozen aus. Zwischen den Obsthainen fahren wir ein kurzes Stück bergauf, bevor wir an einem verwirrenden Kreisel in Richtung Girlan abbiegen. Beim Aussteigen auf dem Parkplatz können wir die Familien-Alarmanlage hören:
„Jumpy hat schon mein Auto gehört.“
Maria ist aufgeregt und freut sich schon auf ihre Familie. Ich hingegen habe keine Ahnung wie ich die Eltern begrüßen soll. Am Ende wird es ein einfaches: „Hallo, ich bin Chris.“ Ja ich gebe es zu zum Dichter fehlt mir noch ein bisschen was.
Hinter Marias Mama bellt mich der kleine Jumpy, ein Chihuahua, weiter an. Es dauert bestimmt länger ihn von mir zu überzeugen.
Wir stellen unsere Taschen auf die Treppe, die durch ein Krabbelgitter abgetrennt ist. Jumpy hat wohl eine gewisse Tendenz Dinge zu ‚markieren‘.
Mutig wie ich bin verstecke ich mich emotional hinter Maria. Marias Eltern und ich kreisen ein wenig umeinander, ich bin eben „der neue“.
Nachdem wir unsere Sachen in den Zimmern unterm Dach abgelegt haben setzen wir uns ins Wohnzimmer um uns zu unterhalten. Also um genau zu sein sitze ich dabei und halte mich erstmal zurück. Jumpy lässt sich von Maria streicheln, behält mich dabei aber immer im Auge. Nebenher wird noch im Familienchat für eine Reservierung im Meraner klar gemacht, da der kleine Bruder direkt über dem Restaurant wohnt wird er auch gleich freiwillig gemeldet uns einen Tisch zu besorgen.
Wenig später fahren wir von einem Ortsteil in den anderen und landen auf einem Parkplatz vor einem sehr modern aussehenden Restaurant. Wir kommen als letzte an und setzen uns zu den beiden Geschwistern und deren Partner.
Hier kommen wir wieder an einem Punkt an, an dem ich erwähnen muss dass Südtiroler eher etwas zurückhaltend sind. Das Schweigen wird nur durch den Kellner unterbrochen, der einen direkt anschaut während er, ohne hinzuschauen, die Bestellung in sein Gerät eingibt.
Keiner sagt ein Wort während wir warten, da ich vorbereitet wurde versuche ich auch nicht die Stille weg zu plappern. Als dann das Essen kommt fragt der kleine Bruder mich:
“Und was machst Du so?”
Gott sei Dank, irgendwer sagt was. 
Mein Versuch zu beschreiben was ich in der Arbeit mache sorgt nach 3 Sätzen für leere Blicke. Auch der zweite Versuch ist nicht weiter hilfreich und so beschreibe ich meine Tätigkeit als IT für IT.
Immerhin kommt so die Gesellschaft in Stimmung und es kommen echt Gespräche auf.
Nach dem Essen machen wir einen kleinen Spaziergang durch den süßen, kleinen, italienischen Ort. Es kommt ein leichtes Urlaubsgefühl für mich auf.

Am nächsten Morgen werden wir für uns untypisch schon sehr früh wach. Zumindest schaffe ich es so ein Foto zur blauen Stunde zu machen, mich wieder hinzulegen und weiter zu schlafen.
Als wir dann aufstehen und uns fertig machen ist unten das Frühstück schon beendet, Marias Vater ist zu seinem Chor unterwegs und wir frühstücken in aller Ruhe. Der kleine Jumpy lässt sich von Maria kraulen, hält zu mir aber weiterhin einen eindeutigen Sicherheitsabstand.
Maria hat bei ihrer Lieblingsfriseurin einen Termin und so nutze ich die Zeit und gehe in der Umgebung spazieren.
Nach unserer Rückkehr werden wir schon erwartet, Marias Vater hat Pasta all’amatriciana gemacht.
„Den Ort gibt es ja seit dem Erdbeben nicht mehr,“ teilt er mit.
In meinem Kopf drehen sich die Zahnräder, ‚Erdbeben?‘ Und dann kommt’s mir, ja das Bergdorf das vor ein paar Jahren völlig zerstört wurde.
Kleiner Tipp übrigens, den Teller langsam und nicht ganz leer essen. Ich esse tendenziell schneller, das Wort Schlingen ist schon ein paar Mal gefallen, und so nähert sich eine weitere Kelle Nudeln meinem Teller und wird mit dem Kommentar „Iss, es ist genug da“, zusammen mit der leckeren Soße auf meinem Teller abgeladen. Trotz meiner Anwesenheit kreist Jumpy durch die Küche, wie mir versichert wird im Versuch Reste zu ergattern. 
Mein Magen ist nicht in der Lage mir das ‚hör auf, ich bin voll‘-Signal zu senden und so rollen wir vollgestopft von der Küche ins Wohnzimmer.
Hier wird erstmal beraten wo wir in Bozen einen passenden Parkplatz finden, denn dem ortsfremden neuen Freund zeigt Maria erstmal Bozen. Wir kommen aus dem Tiefgeschoss auf einen großen, leeren Platz der Piazza Silvius Magnago. Die Esche gegenüber zeigt Anzeichen des nahenden Herbst und leuchtet in schönstem grün und gelb. Bozen gibt das italienische Flair noch stärker wieder als Eppan. Enge Gassen, voller kleiner Boutiquen laden zum Geld ausgeben ein. Um die Talfer herum gibt es breite Wiesenanlagen, die in der Wärme zum Entspannen locken. Der obligatorische Triumphbogen hat in Bozen einen bitteren Beigeschmack. Laut Maria steht auf ihm „An den Rändern des Reiches wurde die Zivilisation gebracht“ oder so ähnlich. Jährlich treffen sich italienische Gruppen und feiern ihren Sieg, 100 Jahre nachdem Südtirol an die Italiener ging. Ob so erfolgreiche Integration aussieht?
„Hier startet der Marathon,“ werde ich aufgeklärt. Mein Interesse steigt gehörig.
Am Walther-Platz endet unsere Tour. Mir war nicht klar dass Walther von der Vogelweide bis hierhin berühmt war, ich kann mich aber auch an keinerlei Details seines Lebens erinnern.
Zurück in Girlan wird der kleine Jumpy in sein neues Geschirr gesteckt und durch die Weinberge Gassi geführt. Er schaut sich immer wieder um, wohl um zu checken ob wir noch da sind. Die Apfelernte hat bereits begonnen und ich bin erschrocken wieviele der Äpfel direkt als unschön auf den Boden geworfen werden. Das Ziel des Spaziergangs ist die Oma von Maria. Eine ältere Dame nimmt uns in Empfang und bietet Kaffee an.
Teile des Gesprächs werden in Dialekt geführt, so dass ich nur irritiert Zuschaue. Irgendwann wird mir klar dass nicht kleine Kätzchen (kitten) eingekocht werden sondern Quitten. Während ich mit dieser Erkenntnis grinsend auf der Bank sitze fiept Jumpy mich von unten an. Diese Gelegenheit lasse ich mir nicht entgehen und streichel ihn ausgiebig. Das Eis scheint gebrochen zu sein, auch der kleine heißt mich willkommen.
Abends fahren wir mit den anderen zum Gaiser, ein Restaurant in der Nähe. Jetzt lerne ich wohl den Rest kennen. Eine derartig große Familie ist natürlich erstmal beeindruckend und so bin ich froh darüber dass die Freundin von einem von Marias Brüdern sich mit mir unterhält.
Als Vorspeise bestelle ich Knödelsuppe und eine Pizza als Hauptgang. Die Suppe kommt als großer Teller mit drei riesigen Knödeln. Wie das Gericht das Label Vorspeise bekommen hat ist mir ein Rätsel. Es dauert ziemlich lange bis die Pizza kommt. Als ich nachfrage erfahre ich dass man mit Zeit zum verdauen lassen wollte. Die riesige Pizza versucht meinen Magen zu sprengen als sie den Platz mit der „Vorspeise“ teilen muss. Die Pizza schafft es dann mit viel stopfen in den Magen und ich es anschließend mit viel Schlurfen zurück zum Auto. Im Bett drifte ich bin Foodkoma in den Schlaf.

Am Sonntag machen wir einen kleinen Spaziergang zum Friedhof. Mitten zwischen Wein steht dass kleine eingezäunte Gelände. Alles beginnt bereits gelb zu werden und der Wein der Umgebung wartet auf die Ernte.
Nach einem weiteren Mittagessen, dieses Mal gibt es Gulasch, fahren wir wieder heim. Ich scheine einen guten Eindruck hinterlassen zu haben und meiner sonst üblichen sozialen Patzer sind ausgeblieben. Auch der kleine Jumpy lässt sich zurückhaltend von mir streicheln.

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